Einleitung
Großveranstaltungen wie Open-Air-Konzerte, Musikfestivals oder Sportevents gleichen zunehmend temporären Städten – die Infrastruktur entsteht in kurzer Zeit, der Aufwand ist enorm. Bühnen, Verkaufsstände, Versorgungsleitungen, Zeltplätze und Technik werden in wenigen Tagen errichtet und nach dem Festival wieder abgebaut. Veranstalter greifen dafür häufig auf eine Vielzahl verschiedener Unternehmen zurück: Bühnenbauer, Installateure, Catering-Firmen, Sicherheits- und Rettungsdienste sowie technische Dienstleister – ein hochkomplexes Geflecht aus Gewerken mit Schnittstellenrisiken auf engem Raum.

Im Bauwesen ist seit langem klar: Bei solchen Projekten braucht es einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator (SiGeKo), der für Arbeitsschutz, Gefährdungserkennung und Koordination zuständig ist (§ § 3 und 4 Baustellenverordnung – BaustellV). Bei Festivals gibt es diese Verpflichtung jedoch nicht. Dabei sind die Parallelen zur Baustelle offensichtlich – insbesondere beim Aufbau und Abbau. Dieses Essay plädiert dafür, die Bestellung eines SiGeKo bei Großveranstaltungen gesetzlich zu verankern.
1. Rechtsrahmen für Großveranstaltungen
1.1 Fragmentierte Rechtslage
In Deutschland existiert keine bundeseinheitliche, einheitliche Definition von „Großveranstaltung“. Vielmehr greifen je nach Event einzelne Vorschriften aus Bau-, Gewerbe-, Gaststätten-, Immissions- oder Versammlungsstättenrecht. Oft erfolgen Genehmigungen von fliegenden Bauten (z. B. Bühnen, Zelte, Tribünen) nach Landesbauordnungen – etwa § 79 BauO NRW – und bei Versammlungsstätten für über 1.000 Personen nach Sonderbauverordnung. Hinzu kommen meist ein betriebliches Sicherheitskonzept (z. B. bei über 5000 Besucherplätzen § 43 SBauVO NRW) sowie Auflagen aus Polizeirecht, Immissionsschutz, Umwelt- und Hygienegesetzen. Doch diese Regelwerke adressieren primär den Publikumsbetrieb und originäre Gefährdungen wie Brandschutz, Fluchtweggestaltung oder Immissionen – nicht jedoch den Arbeitsschutz für Beschäftigte beim Auf- und Abbau.
1.2 Baustellenrechtliche Vorgaben
Gemäß der Baustellenverordnung (BaustellV) ist ein SiGeKo zu bestellen, sobald mehrere Arbeitgeber auf einer Baustelle tätig sind und bestimmte Größen- oder Komplexitätskriterien erfüllt sind (z. B. Dauer oder Beteiligung mehrerer Gewerke). Der SiGeKo erstellt einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan, koordiniert die Arbeiten der verschiedenen Firmen und sorgt für die Überwachung und Umsetzung der Schutzmaßnahmen.
1.3 Parallelen bei Großveranstaltungen
Große Musikfestivals wie Parookaville in Weeze inszenieren sich jahr für Jahr als eigene „Festivalstadt“. Im Sommer 2025 kam es beim Abbau eines Fahrgeschäftes auf diesem Gelände zu einem schweren Arbeitsunfall: Ein 34-jähriger Arbeiter stürzte etwa sechs Meter in die Tiefe und zog sich lebensgefährliche Verletzungen zu. Er wurde mit einem Rettungshubschrauber in eine Spezialklinik geflogen; Polizei und Arbeitsschutzbehörden leiteten Ermittlungen ein. Dieses tragische Ereignis macht klar: Das Risiko bei Aufbau und Abbau ist real – genau dort, wo kein umfassendes Sicherheitsmanagement existiert. Die Szene beim Aufbau oder Abbau einer Festivalstadt entspricht einer komplexen temporären Großbaustelle: zahlreiche Gewerke, hohe technische Anforderungen, Zeitdruck, wechselnde Sicherheitsverantwortlichkeiten – und zugleich ein Mangel an zentraler Koordinationsinstanz.
2. Warum ein verpflichtender SiGeKo sinnvoll ist
2.1 Schutz der Beschäftigten und Prävention
Ein SiGeKo würde schon in der Planungsphase mögliche Gefährdungen – beispielsweise beim Aufbau von Fahrgeschäften, Bühnen oder Zeltanlagen – systematisch erfassen und geeignete Schutzmaßnahmen koordinieren. So ließen sich Sturz-, Elektrizitäts- oder Verkehrsgefahren frühzeitig entschärfen. Gerade in der Phase, in der Besucher*innen noch gar nicht auf dem Gelände sind, aber viele Gefährdungen bestehen, wäre eine präventive Steuerung durch einen SiGeKo von unschätzbarem Wert.
2.2 Rechtssicherheit für Veranstalter
Veranstalter stehen heute vor einem Dschungel an unterschiedlichen Vorschriften und behördlichen Verfügungen. Ein SiGeKo könnte als zentrale Ansprechperson fungieren, Anforderungen bündeln und sicherstellen, dass Arbeitsschutz-, Bau-, Gesundheits- und Feuerwehrauflagen in einem praktikablen Sicherheitsmanagement zusammengeführt und verwirklicht werden.
2.3 Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit
Während Baustellen in ganz Deutschland bestimmten Mindeststandards folgen, existiert bei Veranstaltungen je nach Bundesland und Einzelfall eine sehr unterschiedliche Praxis bei Auflagen und Kontrollen. Eine bundesweit verbindliche SiGeKo-Pflicht würde ein einheitliches Schutzniveau etablieren – vergleichbar dem Baustellenbereich.
2.4 Wirtschaftlicher Nutzen
Unfälle verursachen nicht nur Leid, sondern auch wirtschaftliche Schäden durch Ersatz-, Schadensersatz- und Reputationsrisiken. Die Investition in einen SiGeKo ist vergleichsweise klein – gemessen am Nutzen, den eine sichere, strukturierte Planung und Umsetzung bietet. Klarheit, Planungssicherheit und weniger Zwischenfälle zahlen sich schnell finanziell aus.
3. Gesetzgeberische Wege zur Umsetzung
Drei mögliche Ansätze bieten sich an:
- Erweiterung der Baustellenverordnung (BaustellV), sodass temporäre Event-Infrastrukturen unter § 2 gelten.
- Anpassung der Sonderbauverordnung (z. B. SBauVO NRW und analog in anderen Ländern), etwa durch Aufnahme einer Koordinierungspflicht ab einer bestimmten Besucherzahl oder Komplexitätsgrad.
- Einführung einer eigenständigen Verordnung speziell für Großveranstaltungen, analog zur Versammlungsstättenverordnung, aber mit Fokus auf Arbeitsschutz und Koordination.
Kriterium könnte etwa eine Besucherzahl (z. B. ≥ 5000) oder Minimalgröße der Infrastruktur sein – gekoppelt an eine Pflicht zur Bestellung eines qualifizierten (z. B. Sicherheitsfachkraft mit Koordinatoren-Kompetenzen) SiGeKo.
4. Internationale und nationale Praxisansätze
In Großbritannien und den USA existieren bereits umfassende Regelwerke zur Event-Safety, die koordinierende Funktionen ähnlich einem SiGeKo vorsehen. Auch die DGUV Vorschrift 17 (Unfallverhütungsvorschrift Veranstaltungs- und Produktionsstätten für szenische Darstellung) enthält Ansätze, jedoch ohne verbindliche Bestellpflicht eines Koordinators. Ein Blick in die Praxis zeigt: Veranstalter, die freiwillig Sicherheitskoordinatoren einsetzen, berichten von deutlich reibungsloseren Abläufen und weniger Zwischenfällen.
5. Schlussbetrachtung
Festivals, Open-Air-Konzerte und Sportgroßveranstaltungen gleichen temporären Städten – technisch, organisatorisch, infrastrukturell. Aufbau, Betrieb und Rückbau sind komplexe Prozesse mit hohen Risiken, besonders für Beschäftigte. Die Baustellenverordnung zeigt: Koordination von Sicherheit und Gesundheitsschutz wirkt effektiv. Die Einführung einer SiGeKo-Pflicht bei Großveranstaltungen wäre ein konsequenter Schritt, um Strukturen zu professionalisieren, Risiken zu senken und ein bundesweites Sicherheitsniveau zu garantieren.
Persönlicher Hinweis
Aus meiner langjährigen Tätigkeit in den Bereichen Veranstaltungsplanung, Veranstaltungssicherheit und Arbeitsschutz kenne ich die Anforderungen aus mehreren Perspektiven – behördlich, organisatorisch und operativ. Bei der Erstellung unserer Sicherheitskonzepte achten wir auch explizit auf den Arbeitsschutz und die Koordination – egal ob beim Aufbau, im laufenden Betrieb oder beim Abbau – Wir sind zwar nicht die Einzigen, aber noch viel zu wenige – Ein Risiko, welches im schlimmsten Fall viele Menschenleben kosten kann.
Quellen
- Pressemitteilung der Kreispolizeibehörde Kleve: lebensgefährlicher Sturz eines Arbeiters beim Abbau eines Fahrgeschäfts bei Parookaville (22. Juli 2025) https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/65849/6082100
- Wikipedia: Parookaville als Beispiel eines Festivals mit Infrastruktur wie Festivalstadt, mit Hunderttausenden Besucher*innen https://de.wikipedia.org/wiki/Parookaville
- Baustellenverordnung (BaustellV), § 3/4 – Aufgaben des SiGeKo
- Bauordnung NRW § 79 (fliegende Bauten), Sonderbauverordnung NRW § 43 (Sicherheitskonzept bei Versammlungsstätten)
- DGUV Vorschrift 17 (Veranstaltungsstätten Arbeitsschutz)